In jeder Gesellschaft besteht das Leben eines Individuums darin, nacheinander von einer Alters- und Entwicklungsstufe zur nächsten (Geburt, Taufe, Kleinkindalter, Schuleintritt, Pubertät, Adoleszenz, Ehe, Schwangerschaft, Elternschaft, Geburtstage, Trennungen, Trauer,) von einer Tätigkeit zu anderen überzuwechseln. Immer zwischen Alters- und Tätigkeitsgruppen unterschieden wird, ist der Übergang von einer Gruppe zur anderen von speziellen Handlungen begleitet, wie sie etwa der Lehre bei unseren Handwerksberufen entspricht. Bei den halbzivilisierten Völkern sind solche Handlungen in Zeremonien (Rituale) eingebettet, da in der Vorstellung der Halbzivilisierten keine einzige Handlung ganz frei von Sakralem (religiösen – göttlichen) ist. Jede Veränderung im Leben eines Individuums erfordert teils profane (weltlich), teils sakrale Aktionen und Reaktionen, die reglementiert und überwacht werden müssen, damit die Gesellschaft als Ganzes weder in Konflikt gerät noch Schaden nimmt. Es ist das Leben selbst, dass die Übergänge von einer Gruppe zur anderen und von einer sozialen Situation zu anderen notwendig macht. Das Leben eines Menschen besteht somit in einer Folge von Etappen, deren Inhalt- und Anfangsphasen einander ähnlich sind. Geburt, soziale Pubertät, Elternschaft, Aufstieg in eine höhere Klasse, Tätigkeitspezialisierungen. Zu jedem dieser Ereignisse gehören Zeremonien (Riten), deren Ziel identisch ist: Dem Menschen aus einer genau definierten Situation in eine andere, ebenso genau definierte hinüberzuführen.

In den letzten Jahrzehnten unserer schnelllebigen Gesellschaft wurde und wird immer mehr auf Übergangs-, Initiations-, Opfer-, Wandlungs-, Sterbe- oder Trennungsrituale vergessen oder bewusst verzichtet. Dies kann zu einer Verrohung unserer Psyche führen, so dass verschiedene Lebensabschnitte sich leichter vermischen und ein bewusster Aus- und Neueinstige aus dem alten und in den neuen Lebensabschnitt für viele Menschen nicht immer leicht psychisch zu verarbeiten ist.