Geschichte & Konzept

Im Jahre 1907 begegneten einander der schweizerische Psychiater und spätere
Dozent für Psychiatrie Dr. Carl Gustav Jung ( 1875-1961 ) und Sigmund Freud.

C.G. Jung war Sohn eines protestantischen Pfarrers aus Basel. Nach dem Medizinstudium entschloss er sich, Psychiater zu werden, und fand eine Anstellung an der Kantonalen Irrenanstalt Burghölzli in Zürich. Jung schrieb seine Doktorarbeit über die Psychologie und Pathologie sogenannter occulter Phänomene. Der Leiter dieser Klinik, Eugen Bleuler war sehr an der Analyse interessiert und unterstütze Jung darin, psychoanalytisches Denken an seiner Klinik in die Praxis umzusetzen.
Jung war sehr bald ein enger Vertrauter von S. Freud, sein Lieblingsschüler und ein eifriger Vertreter der Analyse. Differenzen über technische Details und persönliche Auseinandersetzungen führten 1913 jedoch zur Trennung der beiden Männer. Besonderer Streitpunkt war Jungs Ansicht, dass der Sexualität nicht jene zentrale Bedeutung zukam, welche Freud ihr zumaß. Zeitgleich gab es neben persönlichen Differenzen weitere Auseinandersetzungen zwischen Freud und Jung über die Behandlung eines Analytikerkollegen.
Jung arbeitete ab 1909 in eigener Praxis und als Dozent an der Universität in Zürich. Jung erhielt in laufe seines Lebens mehrere Ehrdoktorate verschiedenster Universitäten Er veröffentlichte zahlreiche psychologische – Wissenschaftliche, kulturkritische, psychiatrische, ethnologische und religionsphilosophische Schriften.
Anders als das Seele – und Entwicklungsmodell der klassischen Analyse ist Jungs Modell mehr auf die gesunde Entwicklung hin ausgerichtet und erscheint somit ganzheitlicher, da es sich mit vielen Aspekten des Lebens beschäftigt. Von diesem Gedanken fühlten sich schon immer Frauen mehr angesprochen. Im Gegensatz zur Analyse wurde die Analytische Psychologie während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland nicht verfolgt. C. G. Jung starb 86 jährig in seinem Haus in Zürich.

Modell der Seele und dessen Entwicklung

Die Psyche umfasst nach Jung alle psychischen Vorgänge; die Seele ist für ihn nur ein Ausschnitt aus der Psyche, die aus zwei voneinander abgegrenzten, sich ergänzenden Bereichen besteht. An beide hat das Ich Anteil. Was Menschen bewusst erleben, ist nur ein kleiner Ausschnitt aus einem viel größeren, unbewussten Anteil, auf dem das Ich ruht. Bewusstsein ist nicht schon bei der Geburt gegeben , sondern entwickelt sich erst im Kindesalter. Das Ich besteht für C.G. Jung aus stabilen inneren Vorstellungen, die das Zentrum des Bewusstseins bilden und dem Menschen das Gefühl vermitteln, eine individuelle Person zu sein, die denken, spüren, empfinden, und sich einfühlen kann. Die Psyche strebt zeitlebens danach sich zu entwickeln. Sie ist ein sich selbst regulierendes System Bewusstes und Unbewusstes versuchen immer, in einem harmonischen Gleichgewicht miteinander zu stehen. Wenn dieses Gleichgewicht gestört ist, bilden sich Neurosen oder Psychosen.

Archetypen und Schattenseiten

Jung führte den Begriff der Archetypen in die Psychologie ein. Damit sind die Gestalten und Bilder gemeint, die alle Menschen durch ihr kollektives Unbewusstes kennen. Die Archetypen umfassen beispielsweise unbewusste Vorstellungen vom „Weiblichen“ und „Männlichen.“ Der Inhalt Archetypus ist immer gleich, doch seine Erscheinungsformen sind je nach Person und Kultur verschieden. Archetypen können als mythologische Gestalten, Götter, Naturerscheinungen, Tiere, Fabelwesen oder Gerätschaft auftreten, ihre Bedeutung bleibt aber immer unverändert.
Zwei wichtige Archetypen heißen Anima und Animus: die weibliche und die männliche Seite der Seele. Wirklich reif ist der Mensch erst dann, wenn es ihm gelungen ist gegensätzlichen Anteile seiner Seele zusammenzuführen und zu verinnerlichen. Wer als Frau die männliche Seite in sich nicht respektiert, oder als Mann die weiblichen wird immer unvollkommen bleiben, nie „ganz“ sein können.

Andere wichtige Archetypen sind die Gegensatzpaare Macht/Schwäche, Held/Tölpel, Weisheit/Torheit, Eltern/Kinder, Tod /Geburt und Wiedergeburt. In symbolischer Form tauchen sie häufig in Träumen auf, lassen sich aber auch in der Kunst oder in religiösen Vorstellungen finden.

Die Analytische Psychologie nutzt gern Gegensatzpaare, um die menschliche Seelenstruktur zu beschreiben. Der Schatten beispielsweise ist eine Art Gegenperson zur Persona. Im Schattenbereich finden sich alle dunklen, bösen, zerstörerischen und aggressiven Seiten eines Menschen. Niemand gibt gerne zu Schattenseiten zu haben, sonder schiebt die schlechten Eigenschaften lieber anderen Menschen zu. Diese werden dann zu „schwarzen Schafen“ denen man alle negativen Eigenschaften nachsagt, die man eigentlich selbst (Projektion) hat. Doch auch Schattenseiten haben ihr Positives: Aggression beispielsweise ist auch Tatendrang.

Das persönliche & kollektive Unbewusste

Jung stellte dem persönlichen Unbewussten, das Freud erforschte, ein „kollektives Unbewusstes“ zur Seite.

Das persönliche Unbewusste beschreibt Jung so: „Alles was ich weiß, an das ich aber im Moment nicht denke; alles was mir einmal bewusst war, jetzt aber vergessen ist; alles was von meinen Sinnen wahrgenommen, aber von meinem Bewusstsein nicht beachtet wird; alles was ich absichts- und aufmerksamkeitslos, d.h. unbewusst Fühle, denke erinnere, will und tue; alles Zukünftige, das sich in mir vorbereitet und später erst zum Bewusstsein kommen wird; all das ist Inhalt des Unbewussten. (Theoretische Überlegungen zum Wesen des Psychischen 1947, in GW 8 § 214 )

An dem kollektiven Unbewussten haben alle Menschen gleichermaßen Anteil. Seine Hypothese geht davon aus, dass darin der Menschheit gesammelt ist und dass jeder Mensch aus diesem Vorrat schöpfen kann, um seine persönliche Selbstverwirklichung zu erreichen. Die Instinkte und die Archetypen bilden das kollektive Unbewusste. Ich nenne dieses Unbewusste kollektiv, weil es im Gegensatz zu dem persönlichen Unbewussten nicht individuell, d.h. mehr oder weniger einmalige Inhalte hat, sondern allgemein und gleichmäßig verbreitete. (GW 8/ § 153)

Träume

Träume spielen in allen tiefenpsychologischen Therapien eine besondere Rolle. Wünsche, Ängste und kreative Möglichkeiten zeigen sich unter anderem im Traumerleben. Unser Traum ist meist ein getreues Abbild unserer Person, d.h. wir erscheinen als Person im Traum häufig so, wie wir wirklich zu tiefst sind, und nicht wie wir gerne erscheinen möchten. Träume sind keine beabsichtigten und willkürlichen Erfindungen, sondern natürliche Phänomene, die nichts anderes sind, als sie eben darstellen. Sie täuschen nicht, sie lügen nicht, sie verdrehen und vertuschen nicht, sondern verkünden naiv das, was sie sind und meinen. Sie sind nur darum ärgerlich und irreführend, weil wir sie nicht verstehen.(GW 17 /S. 121) Der Traum ist die kleine, verborgene Tür im Inneren der Seele. Kein Wunder also, dass in allen älteren Kulturen der eindrucksvolle Traum als eine Botschaft der Götter galt. (GW 10 /S 106) Der Traum beschäftigt sich tatsächlich auch mit Gesundheit und Krankheit, und da er, vermöge seiner unbewussten Herkunft, aus dem Schatz unterschwelliger Wahrnehmung schöpft, so kann er gelegentlich sehr wissenswerte Dinge produzieren. (GW 8 / S 311)

Der Weg zur Individuation

Erfüllt ist das Leben des Menschen, der zu sich selbst findet und sich verwirklicht. Der Prozess dorthin nennen die Jungianer Individuation. Zu sich als ganzem Menschen (Individuum) zu komme, gelingt demjenigen, der alle Anteile der eigenen Persönlichkeit positiv annimmt, so verschieden, gegensätzlich und unangenehm sie auch sein mögen. Wenn sich Menschen ihre besonderen geistigen, schöpferischen, sozialen, und individuellen Bedürfnisse erfüllen, hilft ihnen das, ihren Weg zu sich selbst zu finden. Individuation bedeutet: „ zum Einzelwesen werden, und, insofern wir unter Individualität unsere innerste, letzte und unvergleichbare Einzigartigkeit verstehen, [ zum eigenen Selbst werden ].“ (GW 7 § 191)

Der Individuationsprozess ist ein Differenzierungsprozess; Die Besonderheit eines Menschen soll zum Ausdruck kommen, seine Einzigartigkeit. Dazu gehört ganz wesentlich das Annehmen von sich selbst mit den jeweils damit verbundenen Möglichkeiten, aber auch den Schwierigkeiten. (Gedanken zur Individuation, V. Kast)

Die Seele & ihre Maske

Der unbewussten Seele steht als Gegensatz der bewusste Anteil der menschlichen Seele gegenüber. Jung nennt diesen bewussten Anteil Persona. Zur Persona gehört das körperliche Erscheinungsbild eines Menschen, seine Körpersprache und seine Umgangsformen. Wenn die Persona in ihren verschiedenen Anteilen ausgewogen ist, ruht der Mensch harmonisch in sich und fühlt sich seelisch gesund.

Alle Verschiebungen des Gleichgewichts führen zu Störungen und Neurosen. Jung: „ Die Persona ist ein kompliziertes Beziehungssystem zwischen dem individuellen Bewusstsein und der Sozietät, passenderweise eine Art Maske, welche einerseits darauf bedacht ist, einen bestimmten Eindruck auf die anderen zu machen, anderseits die wahre Natur des Individuums zu verdecken.“ (GW 7 § 305)

Die Komplextheorie

Neben den Träumen sind vor allem die Komplexe ein königlicher Weg zum Unbewussten.

Die Komplexe sind die Architekten unserer Träume und darüber hinaus die Anordnung unseres Seelenlebens mit vielfältiger Gestaltwerdung. Komplexe sind die unbewusste Brennpunkte der psychischen Vorgänge, die man sich vereinfacht ausgedrückt als seelische Energiefelder vorstellen kann. Wir können die Komplexe auch wie autonome Seelenanteile betrachten, die sich wie unabhängige Wesen verhalten. Besonders in den Affekten und allen starken Gefühlen werden wir uns der Komplexe bewusst und nehmen sie war. Wenn sich ein Komplex im Unbewussten konstelliert und ins Bewusstsein dringt, hat dies starke Auswirkungen auf unsere seelische Stimmungslage. (Lexikon Jungscher Grundbegriffe) Ein typischer Komplex ist der Eltern-Komplex. Er umfasst alles, was mit dem Verhältnis von Kind und Eltern zu tun hat. Wird der unbewusste Anteil eines Konfliktes erkannt, verschwindet das Symptom, da die Energie wieder frei fließen kann. Jungs Seelenmodell hat wegen seiner bildlichen Beschreibung und seiner hoffnungsfrohen Ausrichtung schon immer viele Menschen angesprochen. (Kursbuch Seele)

C.G. Jung „ Die Krankheitserkennung in de Psychotherapie beruht daher weit weniger auf dem klinischen Krankheitsbild als vielmehr auf den inhaltlichen Komplexen.“ (GW 8 § 201)